Foto: Verdis „Macbeth“ in Salzburg 2011: Robert Christott, Stephan Schäfer, Volker Wahl (Drei Hexen). © Silvia Lelli
Text:Alexander Dick, am 4. August 2011
Peter Stein, Doyen des deutschen Theaters, von der Kritik einst bejubelt, heute oft nur noch verspottet, zog in Salzburg aus, um zusammen mit Riccardo Muti Verdis „Macbeth“ vor dem Desinteresse des Publikums und der Ignoranz des Destruktionstheaters zu retten. Und als Befürworter eines Theaters, das vom Werk aus denkt und nicht von irgendwelchen Befindlichkeiten des Regisseurs würde man den beiden so gerne zurufen: Ja, macht euer Ding! Allein, nach fast vier Stunden ödem Kostümierungsspiel im Passionstheaterduktus in der Felsenreitschule weiß man zumindest eines: Die Rettung der Oper sieht anders aus. Und auch die Zukunft der Regie.
Dabei beginnt es verheißungsvoll. Stein und sein langjähriger Bühnenbildner Ferdinand Wögerbauer wissen um die Kraft des Ortes und suchen ihn deshalb erst gar nicht zu verbauen. Die drei in den Fels gehauenen Arkadenstockwerke wirken durch die Magie sorgsam austarierter Lichteffekte (Joachim Barth) gespenstisch düster. In der Hexenszene zu Beginn des esten (und auch des dritten) Akts zeigt Stein noch einmal, welche Magie von einer Ästhetik theatralischer Bilder ausgehen kann, durch eine virtuose Bewegungschoreographie und dunkle Aquarellfarben aus dem Zusammenwirken von Kostümen (Annamaria Heinreich), Bewegung und Licht. Als habe sich der Wald von Birnam bereits jetzt gegen das skrupulöse Monster Macbeth in Bewegung gesetzt. Stein kumuliert die bei Verdi chorisch auftretenden Hexen szenisch mit drei Schauspielern in kreidebleichen Kostümen – auch das fokussiert die Szenerie.
Doch als habe der Regisseur damit bereits sein ganzes Pulver verschossen, dümpelt der restliche Abend in dröger Auf- und Abtrittsroutine vor sich hin. Wie ein Opernpassionsspiel im Cinemascopeformat, ein bisschen Hollywood, wenig gute, dafür aber ganz alte Oper, kurzum: Oberveronagau. Wobei sich „Gau“ hier auch als größter anzunehmender Unfall auf der Bühne interpretiere ließe… Das ist schade, denn es ist eine vertane Chance. Nicht für große Teile des Publikums offenbar, denn der Jubel für die Regie am Ende ist einhellig, aber für die Zukunft. Einen Weg aus der Opernregiekrise weist solches Tableautheater nicht, zumal nicht mit einem Werk, das sicher innerhalb Verdis Schaffen zu wenig beachtet wird, aber dennoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass der Meister sich hier noch im Anfangsstadium seiner genialen Musikdramaturgie befindet und sich bei weitem noch nicht virtuos über alle Usancen und Konventionen des Opernbetriebes seiner Zeit hinwegzusetzen weiß.
Riccardo Muti ist gleichwohl der profilierteste Anwalt, den man sich für diese Musik vorstellen kann. In seiner, wie er angekündigt hat, letzten Salzburger Festspielproduktion lässt der 70-jährige Maestro einmal mehr seinen kompromisslosen Verdi-Interpretationsstil erkennen: Es ist jenes oft als kalt bezeichnete, scharfe Zeichnen der Phrasen, jenes expressive Vorandrängen – ein Musizieren, das die Kontraste zwischen Verdis schneidendem Blech und einem intensiv-melancholischen Streicherklang geradezu heraus meißeln lässt. Spürt man eingangs noch, dass die Belastung für die in klanglicher Hinsicht einfach unvergleichlichen Wiener Philharmoniker derzeit enorm ist, und dass gerade den Ensembleszenen mit der ansonsten proper agierenden Chorvereinigung Wiener Staatsopernchor (Thomas Lang) ein paar mehr szenische Proben gut getan hätten, so schaukelt sich der Abend musikalisch mehr und mehr hoch; gerade die Wahnsinnsszene der Lady Macbeth mit einer sich immer mehr steigernden, eruptiven, überaus facettenreich dramatischen Tatjana Serjan gehört zu den Opernsternstunden. Ob man dieser Oper Gutes tut, indem man die viel über Theaterkonventionen ihrer Zeit aussagende Ballettmusik der zweiten Fassung dem dritten Akt voranstellt, sei dahingestellt. Die Stärken des jüngeren Verdi liegen in seinen musikalischen Psychogrammen.
Zeljko Lucic in der Titelpartie liefert ein solches – ein Macbeth, der sein Brüche und Unsicherheiten auch vokal einzufangen weiß, ein warmer Bariton mit hohem stimmlichem Ausbruchspotenzial. Bewegend sind auch der Wahnsinnsbass Dmitry Belosselskiys (Banquo) und der hinreißend bewegliche, strahlkräftige Verdi-Tenor von Giuseppe Filianoti (Macduff). Am Ende der lange Zeit vorher schon ausverkauften Produktion atmet das gepeinigte Schottland auf, und das Publikum, wie gesagt, es jubelt.
(Weitere Aufführungen am 6., 9., 12., 16., 19., 22., 24. August.)