Szene aus Judith Weirs „Achterbahn“ bei den Bregenzer Festspielen.

Lebenskurven

Judith Weir: Achterbahn

Theater:Bregenzer Festspiele, Premiere:21.07.2011 (UA)Regie:Chen Shi-ZhengMusikalische Leitung:Paul Daniel

Mit den Bregenzer Festspielen verbindet man natürlich als erstes die Seebühne: spektakuläre Freilichtaufführungen für 7000 Besucher. Doch in einer Art „Doppelstrategie“ bieten die Festspiele im Festspielhaus die Premiere einer Besonderheit, einer „Opern-Orchidee“ – diesmal sogar eine Uraufführung: „Achterbahn“ heißt das Werk, die englische Komponistin Judith Weir hat sich von einem Märchen um Textilarbeiterinnen inspirieren lassen.

„Achterbahn“? Ja, das ist ein Bild für heutige Lebensläufe. In Weirs Libretto sucht Tina, Tochter in einer Welt der Schönen und Reichen, nach ihrem Lebensweg. Plötzlich erlebt sie den Finanzcrash und die Flucht der Eltern. Trotzig steigt sie aus dieser „Welt der Lüge“ aus. Ihr Weg führt in die Slums, durch Vandalismus, vorbei an einem hilfsbereiten Immigranten, an Stadtstreichern und an gehetzten Textil-Akkordarbeiterinnen schließlich in einen Waschsalon. Dort findet sie einen Hauch von Geborgenheit, dann aber vor allem ein Glückslos über 100 Millionen. Ihr ganzer Weg wird von der Stimme des Schicksals begleitet, das aber weder übermächtig noch märchenhaft eingreift. Ein smarter und reicher Jungmanager verliebt sich beim Hemdenholen in Tina, fordert sie auf, das Geld den glücklos verarmten Menschen zu schenken und dafür privates Glück zu finden. Prompt lässt das knapp zweistündige Werk den Zuschauer reichlich ratlos: Es ist kein anrührendes modernes Märchen und keine frech ironische Sozialsatire; und es ist leider auch – trotz seiner realistischen Ansatzpunkte – keine bissige Sozialkritik und erst recht keine Hoffnung verbreitende Utopie.

So beeindruckte zunächst die eingängige Inszenierung von Chen Shi-Zheng: klare, reizvoll farbig ausgeleuchtete Bilder voller Realismus bis zu einer fabelhaften Breakdance-Gruppe, die mal bedrohlich, mal geisterhaft Tinas Weg begleitet. Noch stärker beeindruckte Judith Weirs Musik, die beweist, dass man Melodien und Harmonien gekonnt mit Dissonanzen mischen kann. Weir kann Stimmen ohne schrille, verstiegene Phrasen klingen und singen lassen. Sie begleitet die Szene mit dramaturgisch sinnfälligen Instrumentalklängen – was Dirigent Paul Daniel mit den Wiener Symphonikern hörbar machte. Zwar blieb als Manko, dass die Countertenorstimme des „Schicksals“ im symphonischen Orchesterklang mehrfach unterging. Das übrige Ensemble aber besaß Festspielformat; schließlich ist Londons Royal Opera Co-Produzent. Doch das Resümee der ersten von drei geplanten Uraufführungen in den kommenden Jahren muss lauten: eine zu naiv-schlichte Handlung, eingebettet aber in sofort zugängliche zeitgenössische Musik.