Foto: Wolfram Koch und Werner Eng (hinter dem Brett) in „Die (s)panische Fliege“ an der Berliner Volksbühne. © Thomas Aurin
Text:Elena Philipp, am 5. Juli 2011
“Fritsch liebt Komödien und verweigert den Diskurs” wirbt die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz für ihre letzte Premiere in dieser Spielzeit, “Die (s)panische Fliege” in der Regie von Theatertreffen-Doppelgast Herbert Fritsch. Einen alten Schwank hat sich Fritsch für die dritte Regiearbeit an seinem einstigen Heimattheater ausgesucht – und zeigt saftiges Neo-Volkstheater.
Der Mostrichhändler Ludwig Klinke (Wolfram Koch) versucht, einen früheren Seitensprung mit Kindesfolge vor seiner sittenstrengen Ehefrau Emma (Sophie Rois) zu verbergen. Doch nicht nur an Klinke hat die Tänzerin Senorita Rosita alias “die spanische Fliege” alias Röschen Zippel aus Bautzen vor 24 Jahren ein Babyfoto geschickt und seither Alimente kassiert. Auch Emmas Schwager Alois ist einer der vermeintlichen Väter. Immer neue Komplikationen türmen Franz Arnold und Ernst Bach in ihrem – nach einem zum Potenzmittel zerriebenen Käfer benannten – Erfolgsstück von 1913 aufeinander: Der Fall droht an die Öffentlichkeit zu gelangen. In Panik hält Klinke den von Emma erwählten Schwiegersohn, Heinrich Meisel, für seinen unehelichen Nachkommen, und dessen Mutter, die honorige Stadtratsgattin (ChrisTine Urspruch), für die spanische Fliege.
Beißend fröhlich legen Arnold und Bach hinter der gutbügerlichen Klinke-Fassade die Doppelmoral bloß. Ein gefundenes Fressen für Fritsch, der nicht nur in Ibsens “Nora” die unterdrückte Übersexualisierung und die “Vollverkrampfung” der Bürgersleute unter dem Teppich hervorkehrte. Da neigt sich der Bruder etwas zu lang seiner ergebenen Schwester zu, mit lockenden Magiergesten verführt Rechtsanwalt Dr. Gerlach Klinkes Tochter Paula wie auch das Hausmädchen Marie, und wenn der kurzbehoste Heinrich das Küssen übt, schleift er die großäugig grinsende Cousine Wally (Inka Löwendorf) wie eine Puppe über die Bühne. Die Moral allerdings hat bei Fritsch ihre Grenzen: Bewundernd sieht Emma auf ihren potenten Mann, als der am Ende enttarnt ist, und in einem langen Filmkuss versinken Betrüger und Betrogene.
Grell geschminkt sind die Schauspieler, die Frauen mit hoch aufgetürmten Perücken und bauschigen Kleidern, die Männer mit Schnauz- oder Backenbart und Gehrock. Fritschs Handschrift ist unverkennbar – die Wilhelm Busch-Ästhetik, die eckig-outrierten Bewegungen wie von Spieluhrfiguren, die in Tics ausbrechenden Psycho-Mechanismen. Die Bühne, bedeckt von einem riesigen Teppich, der im Hintergrund wallartige Falten aufwirft, ist ein riesiger Spielplatz. Mit endloser Akrobatik gewinnen die Schauspieler das Publikum: Wolfram Koch, ein virtuoser Komödiant, katapultiert sich bei seinem ersten Auftritt per Trampolin über den Teppichwall, nutzt das zweite, in den Boden eingelassene Trampolin, um sich bäuchlings über die kleinere Teppichfalte zu werfen und an die Rampe zu schlittern. Ausgelassenes Gelächter begleitet seine Jonglage mit den Aktenordnern, die belastendes Beweismaterial enthalten. Hysterisch wird das Lachen, als die kleinwüchsige ChrisTine Urspruch, bekannt als Gerichtsmedizinerin des Münsteraner Tatorts, sich ohne Unterlass bemüht, den Teppichwall zu überwinden – und immer wieder abrutscht.
Mit wiederholter Vergeblichkeit, mit der Klamottenkomik einer fallsüchtigen Personnage und mit Wortwitzen wie ejakulieren statt eruieren bestreitet Fritsch eine wirklich lustige Komödie. Für einen Abend ist das wunderbar. Aber missen möchte man das konzeptuelle, diskurslastige Regietheater, zu dem Fritsch einen Gegenschauplatz eröffnet, trotzdem nicht.