Foto: Szene aus Roger Vontobels Inszenierung "Die Jungfrau von Orleans" am Schauspielhaus Bochum. © Arno Declair
Text:Hans-Christoph Zimmermann, am 17. Juni 2011
Eine Frau in schwarzem Overall intoniert mit ihrer Stimme die Arien der Natur und das Loopgerät kopiert sie ins Unendliche. Es ist ein Abschied. Von der Natur, die nur noch als reflektiert-reproduzierte zu haben ist. Und vom Leben, denn die junge Frau wird von sechs Bischöfen auf einem Richterpodium zum Tode verurteilt. Regisseur Roger Vontobel rahmt Schillers „Die Jungfrau von Orleans“ mit Szenen des historisch verbürgten Prozesses, in dem Johanna bzw. Jeanne D’Arc als Ketzerin abgeurteilt wurde. Aus den Soutanen schälen sich bald kriegsführende Politbürokraten in Businesssuits hervor.
Florian Langes Karl ist ein dicklicher, kettenrauchender Zauderer mit Whiskeyglas, hart bedrängt vom dem drahtig-schneidigen Graf Dunois (Jürgen Hartmann). Vontobel liest die romantische Tragödie überzeugend als Parabel politischer Instrumentalisierung. Dass darin auch ein Geschlechterdrama liegt, unterstreichen die Begegnungen Johannas mit der vom Sohn verbannten Königinmutter (ebenfalls Florian Lange), die weiß, was männliche Macht bedeutet. Die Männertruppe wechselt derweil spielerisch zwischen Bischöfen, französischen (blaue Hemden) und englischen Streitgockeln (olivfarbene Hemden) hin und her. Schreiende Gitarrenklänge von Daniel Murena und Stroboskoplicht untermalen die Schlachtszenen, dazwischen keucht Johanna mit Schmuddeldecke als Fahne emphatische Brandreden ins Mikro. Lena Schwarz, die die Rolle eineinhalb Wochen vor der Premiere übernommen hat, kommt ohne Naivitätssäuseln und somnambule Delirieren aus. Ihre Johanna vereint religiös-nationalen Sendungsbewusstsein mit äußerster Brutalität, wenn sie einen Engländer mit einem Mikrokabel stranguliert, und selbstreflektiven Zügen. Zum Waterloo wird ihr die Begegnung mit dem forschen Lionel (Dimitrij Schaad), die die Selbstzweifel bis zur Selbstaufgabe wachsen lassen.
Die Politstrategen feiern derweil die Verbrüderung mit dem Herzog von Burgund mit Champagner und Zigarren und verschachern dabei Johanna unter sich. Als Johanna angeklagt wird, folgt die Distanzierung auf dem Fuß, die mit ihrem Tod wieder in eine Verklärung im Dienste der Herrschaft mündet. Eine klug aktualisierte Inszenierung ohne Schnörkel.