Foto: Anne Sofie von Otter (Médée), Sharon Carty (Cleonte), Christiane Karg (Créuse) und Eun-Hye Shin (Nérine) in der Frankfurter "Médée". © Barbara Aumüller
Text:Wolf-Dieter Peter, am 14. Juni 2011
Werk und Aufführung haben ihren Höhepunkt am Ende des 3.Akts: Da hat Médée Gewissheit über Jasons Liaison und Ehepläne mit Créuse, über den Verlust ihrer beiden Kinder und über ihre kommende Verbannung. In einer großen Soloszene verbeißt sie sich refrainartig mit den Sätzen „Welch’ ein Preis für meine Taten! Welch’ ein Lohn für meine Liebe!“ in den Entschluss zu monströs blutiger Rache, nämlich Wahnsinn für den bislang Schutz gewährenden König Créon, die Verbrennung der Nebenbuhlerin Créuse im geschenkten Hochzeitskleid, die Ermordung ihrer Kinder, den Untergang Korinths in einem Feuermeer. Da steigert sich Marc-Antoine Charpentiers Musik aus den zunächst leise insistierenden Wiederholungen zu dramatischem Furor – und ebenso differenziert erhöhte Anne Sophie von Otter die Strahlkraft ihres hellen Mezzosoprans hin zum furios wütenden Höhepunkt. Hier spielte auch die Szene von Christof Hetzer einmal bestechend mit: das übrige Designer-Ambiente einer Luxus-Villa versank im Dunkel; in der geleerten Obstschale entzündete sich geisterhaft ein kleines Feuer und die Magierin Médée beschwor mit flackernd beleuchtetem Racheanlitz ihre wüsten Pläne. Ein Musikdrama von 1693 zeigte ein Wesen, das menschliche Maßstäbe und humane Orientierung verloren hat – mahnend, packend, erschreckend.
Davor und danach konnte die Aktualisierung von Regisseur David Hermann wenig überzeugen. Ein gestylter Ziergarten links, dann ein modischer Küchenblock vor einem Designer-Kühlschrank und polierter Marmorwand dahinter, die Bühnenmitte mit weißen Designermöbeln so verbaut, dass sich die wenigen Bühnenfiguren eher bemüht vorsichtig bewegten und der Designer-Couchtisch mehrfach als Spielfläche genutzt wurde. Doch weder dies noch das übrige gelangweilte „Leisure“-Gehabe von Créon, Jason, Oronte und Créuse brachte einen Interpretationsgewinn, entlarvte mitnichten eventuell gemeinte heutige Mächtige samt ihrer Menschenverachtung, sondern nahm den Figuren ihre exemplarische Größe und vor allem dramatische Fallhöhe… das Scheitern solcher New-Economy-Schnösel samt ihren angedeuteten homosexuellen und masochistischen Ausschweifungen wäre nur Stoff für People-Magazine. Lediglich das rauchend brennende Kleid Créuses machte am Schluss noch einmal Effekt.
So blieb die Freude an der Begegnung mit Charpentiers Musik. Andrea Marcon dirigierte mit viel Sinn für die durch gezielte Tonartenwahl abschattierten Gefühle und begleitete am Cembalo die für französische „tragédie lyrique“ charakteristischen Rezitative differenziert. Das mit Chitarrone, Blockflöten, Barockoboen und -trompete, mit Windmaschine und Donnerblech einem Originalensemble angenäherte Frankfurter Opernorchester klang bis auf die doch vibratoreichen Streicher gut, ebenso das im Orchester sitzende Mainzer Ensemble „Barock vokal“. Der Otter-Médée wäre eine bessere Perücke und ein aussagekräftigeres Kostüm zu wünschen – beides hätte den Vokaleindruck noch gesteigert. Frankfurts Ensemblemitglied Christiane Karg gestaltete die verwöhnte Créuse auf Augenhöhe mit dem Star-Gast. Die Männerriege – Simone Bailey als Créon im seidenen Hausanzug, Julian Prégardiens Jason im Casual-Look, Oronte gar in Polo-Sportdress – wirkte von der Regie wenig ausgestaltet, sang aber sehr gut. So war es ein Abend der gelungenen Einzelheiten, der der musizierenden Seite den verdienten Jubel, dem Bühnenteam die ebenfalls verdienten Buh-Rufe einbrachte