Foto: Benjamin Höppner (Alberich), Yelena Kuljic (Loge) und Jan Czajkowski (Klavier) in David Martons Version des "Rheingold". © David Baltzer
Text:Detlef Brandenburg, am 7. Juni 2011
Ja, es macht Spaß, mit dieser musikbesoffenen Wagner-Wellness-WG einen netten Abend am Staatsschauspiel Dresden zu verbringen. Wieder einmal hat David Marton, der Kreativ-Regisseur der Musiktheater-Projekt-Szene, heutige Alltagsmenschen in ein locker assoziatives Verhältnis zu einer großen Repertoire-Oper gesetzt, nach Bergs „Wozzeck“ und „Lulu“ oder zuletzt Monteverdis „Poppea“ und „Ulisse“ war jetzt Wagners „Rheingold“ an der Reihe. Wieder hatte man seine Freude an den Stiltravestien, die der wunderbare musikalische Verfremder und Zweitverwerter Jan Czajkowski Wagners Musik antat. Und Alissa Kolbuschs urbane, esoterisch angehauchte Allerwelts-Kostüme und ihr zweistöckiges Bühnenbild – unten ein Gemeinschaftsraum mit Flügel, Fitness-Gerät und Aquarium zur Verwahrung des Horts sowie eine seltsame Alchemisten-Kammer für Martin Schütz, der auf seinem E-Cello noch viel seltsamere Sounds und Sphärenklänge beisteuerte; oben eine Bibliothek für den weltwägenden Wotan sowie eine Einzelzelle für den sich selbst als Wagner-Dirigenten zelebrierenden Performer-Tenor Christoph Homberger, der das musikalische Geschehen auch durch sein wunderbar missvergnügtes Karajan-Böhm-Knappertsbuch-Genörgel steuerte – diese Ausstattung verströmte wieder den poetisch-provisorischen Charme der Volksbühnen-Ästhetik.
Die zwölf Freaks dieser Wagner-WG bilden ein ganzes Repertoire an Typen und Stimmen, die alles sind, nur keine Wagner-Stimmen. Bis auf die ausnehmend schön timbrierte lyrische Sopranistin Yuka Yanagihara vielleicht, aber die wird im Programmheft als Floßhilde geführt, die wir bisher nur als Altistin kannten. Aber egal. Denn bei Cathleen Baumann, Mila Dargies, Olivia Grigolli, Stefko Hanushevsky, Max Hopp, Benjamin Höppner oder Wolfgang Michalek braucht man nach der Stimmlage gleich gar nicht zu fragen. Und doch hat Marton aus dem individuellen Sprechstil dieser Schauspieler durch Verfremdung und Stilisierung eigenartige Melodien gewonnen und zu einem hochmusikalischen Kosmos aus Genuschel, Gekrächze, Gebrabbel, Getuschel, Gesummse vereint. Dass die grandiose Vokalartistin Yelena Kuljic den Loge geben würde, war zu erwarten. Dass sie diesem Feuergott so wenig vokale Hitze einzuhauchen vermochte, eher nicht.
Aber das war es nicht allein. In seinen besten Arbeiten vermochte Marton die „eigentliche“ Geschichte einer Oper mit einer ganzen Polyphonie möglicher anderer Geschichten aufzuladen. Die wurden meist nur assoziativ angespielt, das aber so suggestiv, dass man als Zuschauer vielfach animiert war, diese Geschichten zu Ende zu fantasieren. Im „Rheingold“ aber bleibt alles am Vorbild kleben. Aus unerfindlichen Gründen fühlt sich diese WG neben Wellness-Exerzitien zu Wagnerschen Leitmotiven berufen, die „Rheingold“-Handlung in ihren Tagesablauf einzubauen. Doch spätestens in Nibelheim, wo man sich in Da-Vinci-Abendmahl-Sitzordnung zum Mittagessen trifft, verläppert das Geschehen, weil sich Alberich und Wotan Passagen aus Wagners „Regenerationsschriften“ und dem „ Judentum und die Musik“ um die Ohren hauen. Das wirkt aber nur wie eine Pflichtübung in politischer Korrektheit in Hinsicht auf Wagners nazistische Vereinnahmung. Selbst die Musik kommt streckenweise kaum über das Niveau Wagner allfälliger Musikparodien hinaus.
Wie gesagt: ein unterhaltsamer, toll gemachter, begeistert bejubelter Abend. Wenn man nicht wüsste, was Marton wirklich kann, könnte man zufrieden sein.