Foto: Klaus Maria Brandauer im Musiktheater "Das Buch der Unruhe" von Michel van der Aa in Saarbrücken.. © Archipicture
Text:Konstanze Führlbeck, am 6. Juni 2011
Bildhaft-expressive Musik erlebt in ihrem Klangkörper die Auflösung eines multiplen Subjektes mit, das sich in unzähligen Filmsequenzen voller Alltagsszenen aufspaltet und so die Zersplitterung seiner Identität wie in einem Katalog des eigenen Selbst festhält: „Das Buch der Unruhe“ des niederländischen Komponisten und Regisseurs Michel van der Aa (*1970), Musiktheater für Schauspieler, Ensemble und Film nach Fernando Pessoa mit Klaus Maria Brandauer, am 2. Januar 2009 in Linz uraufgeführt, ist ein Multimedia-Werk, das in seiner Medien übergreifenden Struktur den fragmentarischen Charakter der Vorlage des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa (1888-1935) inkarniert.
Inmitten der minimalistischen Bühne von Marc Warning sitzt ein Mann im schwarzen Anzug und offenen weißen Hemd an einem einfachen schwarzen Schreibtisch voller Papiere, zu beiden Seiten stehen in symmetrischer Anordnung je zwei große runde Projektionsflächen. Hier entfaltet sich ein autobiografisches Kaleidoskop aus tagebuchartigen Notizen und Kalendereinträgen: Mosaikartig blitzen die wechselnden Alltagsimpressionen und Tagträume des Buchhalters Bernardo Soares auf – eines Heteronyms des Autors –, dessen Persönlichkeit sich zunehmend auch in andere Identitäten aufsplittert. Klaus Maria Brandauers nuancenreich differenziertes Spiel und seine mit höchster Intensität und kristalliner Diktion vorgetragenen Texte interagieren in einem synästhetischen stream of consciousness mit assoziativen Filmausschnitten, die den Protagonisten in wechselnden Situationen und Identitäten im Stadtbild Lissabons zeigen, und der plastischen, lebendig mitatmenden Tonsprache von Michel van der Aa. Text, Bild und Musik verweben sich und treten in Dialog miteinander, knüpfen neue Interferenzen und schaffen so ein surrealistisches Panorama voll atmosphärischer Dichte, das das Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit des Protagonisten zu seinem eigenen Leben greifbar werden lässt: „Ich habe immer nur geträumt – dies und nur dies ist das Ziel meines Lebens gewesen. Und ich gestalte meinen Traum mit Hilfe anderer.“
Fado-Star Ana Moura als unerreichbare Femme fatale Ophelia schafft in einer refrainartigen ländlichen Filmsequenz musikalisches Lokalkolorit; Thomas Peuschel und das Saarländische Staatsorchester heben die plastischen Figuren und Bewegungen der sich innerhalb vielschichtig-filigraner Strukturen voller Poesie und Ausdruckskraft entfaltenden Partitur form- und stilsicher hervor.