Text:Detlev Baur, am 2. Mai 2011
Die drei Stücke „Leas Hochzeit“, „Heftgarn“ und „Simon“ spielen zwischen 1972 und 1998 in einer gutbürgerlichen, jüdischen Großfamilie in Amsterdam. In einem sympathisch milden Grundton wird in diesen Konversationsdramen die grausame und für einige Familienangehörige tödliche Vergangenheit bearbeitet. Stephan Kimmig setzt das im ersten Teil mit seinem Starensemble sehr zurückhaltend um. „Leas Hochzeit“ stellt elf Protagonisten auf die weite Bühne und lässt sie zuweilen zu einem sehr verhaltenen „Besame mucho“ die Hüften kreisen. Susanne Wolff beispielsweise als Braut Lea agiert ungewöhnlich verhalten, fast blass.
Im zweiten Teil jedoch kommt ein wenig Bewegung in die arg leere, von Katja Hass mit Sperrholzwänden versehene Bühne. Denn die dreht sich nun im Kreis. Und das zuvor sehr statische Aneinander-Vorbei-Spielen der Akteure führt im vorderen, unbewegten Bühnenbereich zu einigen sehr anrührenden Szenen. Das Gespräch der auf wunderbar komische Art ernsten Christine Schorn mit der vom Mann verlassenen, geistig arg begrenzten siebenfachen Mutter Meike Drostes über die Angst im Jüdisch-Sein, ist solch eine wertvolle Szene.
Doch erfüllt sich das Konzept dieser Trilogie-Version so ganz erst im letzten Teil der viereinhalbstündigen Inszenierung. Nach dem doppelten Vorspiel erhalten die Figuren nun im Verharren am Platz – ohne weitere Bühnendrehungen, aber mit weit mehr Substanz als im ersten Teil – ihre ideale Bestimmung. Sie leben aus der Erinnerung des Alten – nicht nur des Holocaust, sondern der Geschichte der Familienmitglieder insgesamt; diese ist aber besonders durch die vorangegangenen beiden Stücke präsent. Das spezifisch jüdische Leiden wirkt allenfalls als ein Aspekt davon; Leben und Sterben in der Familie wird während des schönen Todes von Simon (Christian Grashoff) im Angesicht des (in „Heftgarn“ geborenen) Sohnes (der eher einem Enkel gleicht, Paul Schröder) zum fröhlichen, stillen Totentanz. Auch Susanne Wolffs Lea zeigt längst ein komplexes Leben: durch ihren Hass auf die Ex-Ehefrau ihres Gatten und Mutter des Neffen (Maren Eggert) einerseits und ihre gleichzeitige, diesem Gefühl widerstrebende, liebevolle Sorge für dieses Kind, das seltsam zwischen den Generationen positioniert ist.
Die Texte von Judith Herzberg erweisen sich von Anfang an als großes Drama der leisen Töne. Ein Satz wie „Was ist eigentlich so wichtig am Leben?“ ist solch ein schöner Redebeitrag, der von der so schelmischen wie betroffenen Christine Schorn mit grandiosen Zwischentönen zum Klingen gebracht wird. Sie ragt unter den famosen Schauspielern heraus – in einer Inszenierung, die zum Ende hin in ihrer Bescheidenheit begeisterndes Theater bietet.