Text:Joachim Lange, am 18. April 2011
In dieser Spielzeit gibt’s Prokofjews „Feurigen Engel“ nur in Weimar. Weltweit, sagt man dort. Anders als seine „Liebe zu den drei Orangen“ hat es der „Feurige Engel“ nicht ins Repertoire geschafft. Der Komponist, der am gleichen Tag wie Stalin starb, lebte von 1918 bis zu seiner Rückkehr in das Reich Stalins 1936, im Westen. War also für die vom Diktator verordnete Volkstümlichkeit ein unsicherer Kantonist. Für den bis 1928 komponierten „Feurigen Engel“ war da kein Platz. Erst zwei Jahre nach Prokofjews Tod holte Giorgio Strehler 1955 die Uraufführung in Venedig nach.
Die Geschichte von Renata, die dem (teuflischen) feurigen Engel Madiel verfallen ist, und die am Ende von der Inquisition verbrannt wird, stammt vom russischen Symbolisten Valerij Brjussow und hatte einen biographischen Hintergrund. Da wurde der Konkurrent zum teuflischen, feurigen Engel, und die begehrte Frau zur operntypischen Melange aus Heiliger und Hure. Die Geschichte aus dem 16. Jahrhundert ist also mehr als die mittelalterliche Fantasy-Story mit einer Mixtur aus weiblicher Obsession, Teufelsfurcht, Engelsglauben und Magie. Nüchtern betrachtet geht es um eine verlassene Frau, die damit nicht fertig wird. Also um einen „Fall Renata“. Die sucht nach einem Geliebten, der sie verließ und treibt den, ihr hörigen, Söldner Ruprecht dabei fast an den Rand der Selbstvernichtung. Nach einer Flucht ins Kloster endet sie auf dem Scheiterhaufen.
In Weimar halten Regisseur und Bühnenbildner Christian Sedelmayer und seine Kostümbildnerin Elisabetta Pian die Szene zwischen den Ebenen und Zeiten in der Schwebe. In der bröckelnden Pracht von römisch roten Palast- oder Museumräumen. Mit einer schwarzen Wand, die sich ins Nichts öffnen oder mit himmlischen Lichtstrahlen verzaubern kann. Der Söldner Ruprecht hat einen Blaumann unterm Mantel und tippt die Visionen Renatas anfangs in eine Schreibmaschine. Der Alchimist Agrippia von Nettesheim tritt nicht nur in der Maske Einsteins auf, sondern steckt auch (ganz pop-artig) die Zunge raus. Beim surrealen Kampf Ruprechts mit dem feurigen Engel Madiel erscheint der als schwarzer Engel mit weißen Haaren und Silberflügeln aus dem Nichts. Der sich auf offener Szene verjüngende Faust (Remigiusz Lukomski) und sein kinderfressender Kumpan Mephisto (Frieder Aurich) kommen geradewegs aus Auerbachs Keller.
Im Kloster dann haben die sparsam als Renata-Doubles choreografierten Nonnen beinahe etwas Klinisches. Hier sind sie alle die „Patientin“ Renata und werden zum „Fall“ weibliche Sexualität. Der am Ende mit der Figur des hörigen Liebhabers verschmolzene Inquisitor löst die Angelegenheit so radikal wie klerikal patriarchalisch: mit dem Scheiterhaufen.
Sedelmeyer entscheidet sich auf dem Weg dorthin zwar nicht so recht zwischen entschlüsselbarem Beziehungsdrama, einem exemplarischen Diskurs über weibliche Sexualität in verschiedenen Zeiten und phantastisch historischem Spiel. Seine Mischung aber bringt es immerhin auf einen spannenden Theaterabend. Zumal Martin Hoff am Pult der Staatskapelle Weimar nicht nur die symphonisch eskalierenden Orchesterpassagen aufleuchten lässt. Er unterstützt auch in den handlungstreibenden, spannungsgeladenen Parlando-Szenen immer die Sänger in ihrem Bemühen, bei der ziemlich holprige deutsche Textversion nicht ins Stolpern zu kommen. Aus dem überzeugenden Ensemble ragen Renatus Mészár als konditionsstarker und eindrucksvoll gestaltender Ruprecht und die zwar mäßig verführerisch agierende aber stimmlich vehement auftrumpfende Kirsten Blanck als Renata heraus. Einhelliger Jubel für alle Beteiligten in Weimar!