Text:Jens Fischer, am 18. April 2011
Betrug, Verrat, Mord, Rache, Gier, aber auch ein wenig Liebe treiben die Horror-Mär einer untergangssüchtigen Gesellschaft voran, die sich Treue bis in den sinnlosen Tod schwört. Ein dramatisches Menetekel, das vom letalen Kreislauf aus Gewalt und Vergeltung erzählt, vor dem Hang der Menschheit zu selbstmörderisch verbohrten Ideen warnt, das Christentum als Erlösung anbietet – und Opfer der deutschen Sehnsucht nach einem Nationalmythos, schließlich Nazi-ideologisch kontaminiert wurde. Gegeben wird Hebbels monumentale Dramen-Trilogie „Die Nibelungen“. Auftritt Siegfried: Herein tanzt federnden Schrittes ein Superheld im güldenen Muskelkostüm. Vor Kraft und Eitelkeit fast berstend, zelebriert er Superstar-Gesten und Bodybuilder-Posen für den verzückt jauchzenden Hofstaat der Burgunder, inklusive tuntig lechzendem Bat(d)man Hagen. Recken sind Gecken, Helden nur Trottel und Frauen natürlich Knallcharginnen: Kriemhild, die rapunzelige Blondine, und Brunhild, ein Nina-Hagen-Double als Machtzicke. Mehr davon? Ist jetzt noch irgendetwas anderes zu erwarten als eine weitere Klassikerverjuxung? Also schnell das Positive: Derart leidenschaftlich folgte das Bremer Schauspielensemble selten einem Regisseur, war schon sehr lange nicht mehr so quietschvergnügt präsent, so überbordend spielwütig.
Man kann „Die Nibelungen“ im historischen Gewand zeigen, sie in unserem Jahrhundert aufmarschieren lassen oder in einem abstrakten politischen Denkraum ansiedeln. Die Ergebnisse sind auf deutschen Bühnen recht ähnlich, meist handelt es sich um bedrückende Distanzierungsversuche vom Teutonischen. Wie auch bei Frank Castorfs Volksbühnen-Inszenierung 1995 mit Herbert Fritsch als Hagen. Dieser versucht’s nun also frei von fast allen Hintergedanken, verfrachtet in entzückender Unbekümmertheit das gesamte Personal mit ästhetisch atemberaubender Konsequenz in eine eigene Wirklichkeit: ein Fantasy-Comic-Spiel. Keine großen Erklärungen, keine falschen, ach, überhaupt keine Gefühle. Rasend fix geht’s von einer schrillschraubigen Szene zur nächsten. Maßloses Vollgastheater. Und ein irrwitziger Maskenball: grellbunt typisierende Kostümpracht, tolldreiste Perückenkreationen. Dazu setzt der darstellerische Wahnwitz auf farcenhafte Grimassenschnitzerei, Gestenklamauk, Körperslapstick. Hinreißend, diese puppenlustige Dauerexaltiertheit! Nur lässt sich nicht sagen, gegen/für wen oder was da geblödelt, gerast, gebrüllt, getobt, warum die Wort-Partitur so hochgeschwind erledigt wird.
Abtritt Siegfried. Der finale Blutrausch wird noch fix im Kochtopf illustriert, in dem die Nibelungen brutzeln, schon erscheinen die Darsteller – reanimiert im Latex-Design, befeuert von Techno-Beats – zu einem ausgelassenen Ritual-Getanze auf der Bühne, hören eine halbe Stunde lang nicht damit auf, treiben so das Publikum aus dem Theater. So viel Aussage muss dann doch noch sein, mag Fritsch gedacht haben: Liebe Zuschauer, macht doch einfach Party, habt Spaß ohne dieses finstere Nibelungen-Deutschtum.