Foto: Saskia Geissler in der Performance-Installation "Hundsprozesse" von Signa. © Erich Goldmann
Text:Stefan Keim, am 27. April 2011
Jeder kriegt eine Akte mit einem vollen Terminkalender. In der interaktiven Performance „Die Hundsprozesse“ des Kollektivs Signa in Köln gibt es keine Zuschauer, nur Angeklagte. Was ihnen konkret vorgeworfen wird, wissen sie nicht. Das verbindet sie mit dem Protagonisten K in Franz Kafkas Roman „Der Prozess“. In den heruntergekommenen Büros und Gängen der ehemaligen Kfz-Zulassungsstelle in Köln läuft das Publikum sechs Stunden lang vom Verhör zum Anwaltstermin, verlangt Einsicht in die Beweislage, trifft geisterhafte Gestalten, die schon jahrelang Prozesse führen und inzwischen im Gericht leben. Am besten funktionieren die Signa-Performances, wenn man sie allein erlebt. Zu Beginn drängen sich Gruppen in die Räume, ein Gefühl der Bedrohung kommt da nicht auf. Das ändert sich, wenn sich der starre Plan auflöst und alle mehr oder weniger durch die drei Stockwerke taumeln. Je aktiver man ist, umso spannender wird der Abend. Denn die Schauspieler reagieren auf alle Situationen, bleiben stets in ihren Rollen. Alle Geschichten sind in einem hochkomplexen Gewebe miteinander verflochten, an einem Abend bekommt der Besucher nur eine Ahnung von diesem Gebilde.
In der medizinischen Abteilung geschehen die härtesten Momente. Da experimentiert Dr. Gorski mit Langzeitangeklagten herum, und was er da mit ihnen anstellt, erinnert an die menschenverachtenden Praktiken des Dr. Mengele. Natürlich ist alles nur gespielt, aber wenn man Zentimeter vor einem brüllenden, nackten Mann steht, der an eine Liege gekettet ist, lässt sich keine intellektuelle Distanz mehr aufbauen. Das sind die typischen Signa-Augenblicke. Sie konfrontieren die Besucher mit der eigenen Feigheit, der Unfähigkeit, ethische Vorstellungen umzusetzen, auch mit dem eigenen Voyeurismus. Denn man schaut hin, auch wenn der zynische Adovkat Lund – eine der wenigen Figuren, die aus dem Roman übrig geblieben sind – eine Küchenhilfe zwingt, sich zu entkleiden.
Doch Signafans kennen diese Szenen inzwischen. An vielen anderen Stellen bleibt die Performance zu harmlos, um drohenden Druck aufzubauen. Zwar gibt es eine Menge Andeutungen, dass man so einen Prozess höchstens verschleppen aber nie gewinnen kann und dass an seinem Ende der Tod lauert. Einige Albtraum-Momente sind dabei, aber das Grauen bleibt gedämpft, der surreale Schrecken aus Kafkas Roman auf seltsame Weise liebenswert.