Foto: Tiago Manquinho in Gregor Zölligs "Vier Temperamente" am Tanztheater Bielefeld. © Bettina Stöß
Text:Hartmut Regitz, am 26. April 2011
Wenn alles immer so einfach wäre! Während im „Cantus Articus“ von Einojuhani Rautavaara noch die Vögel singen, umkreist Wilson Mosquera Suarez mit seiner Harke den Haufen, den Gregor Zöllig inmitten eines gläsernen Atriums platziert. Doch in den Hüllen stecken Menschen, und deren Naturell lässt sich auf Dauer nicht unterdrücken. Kaum entschlüpft, suchen sie schon das Weite, Spuren hinterlassend in dem tiefen Bühnensand. Vergebens versucht der Rechenmann auf seine Art wieder Ordnung zu schaffen in der Welt.
Eine Szene, die einen unwillkürlich an die „Songs of the Wanderers“ erinnert, die Lin Hwai-min mitsamt seinem Cloud Gate Dance Theatre Anfang Juni bei den Dresdner Musikfestspielen im Rahmen des Themenblocks „Fünf Elemente” noch einmal vorstellen will. Gregor Zöllig nennt den Abend des Tanztheaters Bielefeld „Vier Temperamente” und hat dafür seine Gründe. Die Uraufführung könnte aber ebenso gut von einem Lebenszyklus handeln, weil sich Tänzer am Anfang wie aus einer Schale pellen und am Ende anscheinend das eigene Grab schaufeln.
Das „Dreigroschen-Finale“ à la Weill findet jedenfalls als symbolkräftiger Schluss auf leerer Bühne statt, und zwischendurch zerrinnt den zehn Interpreten der Sand immer wieder variationsreich zwischen ihren Händen: beides Ausdruck einer Vergänglichkeit, von der auch Gustav Mahler im letzten seiner „Rückert-Lieder” auf so wundersame Weise spricht. Auch wenn sich Zöllig auf eine Begrifflichkeit bezieht, die aus der Antike stammt, lässt er sich die Vielschichtigkeit seiner Thematik nicht nehmen und fasst die „Vier Temperamente” in eine choreografische Form, die keinerlei Verkrampfung kennt, immer sehr spielerisch ist und aller Komik zum Trotz eine Ernsthaftigkeit besitzt, die nicht ohne Eindruck bleibt auf das Publikum. Bei der Premiere im Theaters Gütersloh jedenfalls gerät es ganz aus dem Häuschen.
Schließlich ist das Stück nicht einfach anzuschauen. Es wird auch aussagekräftig und durchaus differenziert getanzt. Mélanie Forgeron macht mit einem viel versprechenden Mezzosopran auf sich aufmerksam. Und die Bielefelder Philharmoniker unter Leitung von Leo Siberski bleiben den „Vier Temperamenten” keinen einzigen Ton schuldig, sondern musizieren so, wie man das von einem solchen Abend erwartet: mitreißend und voller Empfindung.