Foto: Luis Olivares Sandoval und Christian-Andreas Engelhardt im Bremer "Idomeneo". © Jörg Landsberg
Text:Detlef Brandenburg, am 13. April 2011
Fast könnte man sich verleiten lassen, die spezifische Qualität von Kay Kuntzes „Idomeneo“-Inszenierung am Bremer Theater zu verkennen. Auf der Homepage des Theaters liest man, die Inszenierung werde „geprägt“ durch die Bremer Künstler von URBANSCREEN: eine Gruppe, die mit ihren Projektionen im öffentlichen Bremer Raum Aufsehen erregt hat und nun zum ersten Mal an einer Opernproduktion mitwirkt. Doch es verhält sich mit der digitalen Bühnenkunst hier ähnlich wie schon bei der den „virtuellen Räumen“ gewidmeten Münchener Biennale 2002: Die Projektionen von URBANSCREEN, die geometrische Muster auf weiße, kubistisch verwinkelte Architektur-Artefakte werfen, sehen attraktiv aus und schaffen den Figuren einen abstrakten, zeitlosen Spielraum. Aber sie tragen interpretatorisch nur wenig zur Auseinandersetzung mit diesem ersten Opera-seria-Wurf Mozarts bei.
Das gelingt Kay Kuntzes Regie umso besser. In Kostümen von Christa Beland, die mit schwarzen Soldatenmänteln für die glatzköpfigen Kriegertypen, weißen Anzügen für die kretischen Blondschopf-Griechen und terracottafarbener Folklore für die Henna-rothaarigen Trojaner für Übersichtlichkeit sorgen, erhöht Kuntze die Handlung mit viel Sinn für artifizielle Tableau-Wirkungen zum Parabelspiel. Er zeigt in seiner eng mit der Musik geführten Personenregie nicht nur, wie zerrissen diese Charaktere sind, sondern findet auch starke Bilder für die Gründe dieser Zerrissenheit. Der Poseidon-Priester zum Beispiel erscheint bereits im ersten Akt als schwarzes Schatten-Alter-Ego des Idomeneo, das jene Welt aus Tradition und Götterglaube symbolisiert, die Idomeneo das inhumane Menschenopfer abverlangt. Auch Ilia wird von ihren gemordeten Ahnen verfolgt, die es ihr lange verwehren, Idamantes Liebe zu erwidern. Und wenn statt des Seeungeheuers plötzlich Idomeneo selbst unter seinen Untertanen wütet, wird klar: Die inhumanen Kräfte hausen in des Menschen Brust, das Ungeheuer ist lediglich deren ästhetische Projektion.
Dass Kuntze dies so sinnfällig und mit ironischen Seitenblicken zu erzählen vermag, verdankt er einem hervorragenden Sängerdarsteller-Ensemble. Da ist der wunderbar mezzoherb timbrierte Idamante der Nadja Stefanoff. Nadine Lehner singt eine herzerweichend ausdrucksvolle Ilia. Luis Olivares Sandoval gibt einen Idomeneo mit feurig virilem, elastischem Tenor. Patricia Andress ist eine Elettra von böse funkelnder Attraktivität. Und selbst der Ratgeber Arbace ist mit dem hochkultivierten Randall Bills vorzüglich besetzt. Der Bremer GMD Markus Poschner schließlich spielt Mozarts Musik in hochdifferenzierter Gespanntheit, sensibel im Aushorchen der ambivalenten Klang- und Ausdrucksvaleurs. Diese Produktion bietet eine Fülle musikalischer und szenischer Anhaltspunkte für die interpretatorische Auseinandersetzung mit dieser Opera seria.