Foto: Sasha Waltz and Guests mit „Continu“ in Zürich. © Sebastian Bolesch
Text:Joachim Lange, am 24. März 2011
Alles beginnt hier im Nichts. In Dunkelheit und Stille. Auch das Unten und Oben des Raumes scheint noch nicht zu existieren. Nur drei Körper schweben scheinbar schwerelos im Raum. Vielleicht noch Ungeborene, die aus dem Nichts wie bei einem umgekehrten Höllensturz in die Welt kommen. Das ist die atemberaubende Ouvertüre, eine Art stiller Urknall für die Vermessung der Welt, die dann folgt.
In „Continu“ führt die Choreografin Sasha Waltz Wesentliches aus ihren Arbeiten des vergangenen Jahrzehnts zusammen. Der Titel deutet bewusst auf Kontinuität. Auch die beiden spektakulären Projekte, mit denen Waltz und ihre Tänzer im vergangenen Jahr in Berlin David Chipperfields zwischen den Zeiten changierendes Neues Museum und das neue Museum für zeitgenössische Kunst MAXXI, das Zaha Hadid für Rom gebaut hat, als pure Architektur künstlerisch zum Leben erweckten, wurden so für die jüngste Uraufführung in Zürich Vorarbeiten. Nicht in spektakulärer Architektur, sondern in einer schwarz ausgeschlagenen Bühnenbox im Schiffbau, der zweiten Spielstätte des Schauspielhauses. Hier steigert sich diese Choreografie in einer Melange mit der Musik von Iannis Xenakis, Claude Vivier und vor allem Edgar Varèse zu atemberaubender Intensität. Bei Waltz werden alle ihre 24 Tänzer zu einem Protagonisten. Sie tauchen als Masse, gebückt wie ein einziges Individuum, auf, explodieren zu einem panischen Urchaos, spalten sich auf und loten dann in einem beständigen Fluss von Szenen alles an Gefühlen und Obsessionen aus, was seine Vitalität aus dem Spannungsverhältnis von Individuum und Masse bezieht. Mit den ureigensten Mitteln des Tanzes, mit virtuosen Soli, kleinen und großen Ensembleszenen. Vom archaisch Grundsätzlichen wie Angst, Begehren oder Flucht bis hin zum puren Wahnsinn. Wobei der nicht nur als eine Grenzerfahrung des Körperlichen gezeigt wird, sondern in seiner comichaften Überspitzung sogar eine witzige Pointe beisteuert.
Sasha Waltz versteht es, die Ausdruckskraft und Virtuosität ihrer Tänzer mit durchweg bezwingender Musikalität der Bewegungsabläufe zu Bildern und Assoziationsräumen zu formen, die mit ihrer reflektierend gebrochenen Eleganz bestechen. Am Ende stehen die Tänzer mit dem Rücken an der Wand, während einer mit dem ausgestreckten Arm einen nach dem anderen erschießt. Mit diesem deprimierenden Fazit wird der Zuschauer aber nicht entlassen. Es gibt einen zweiten, kürzeren Teil, der mit Körpererforschungen beginnt und in einem Tanzpainting den jetzt weißen Untergrund durch die Spuren der Bewegung zu einem Bild macht. Ein bleibendes Resultat von Kunst, wie der ganze Abend.