Foto: Gerhard Siegel, Christiane Libor, Kerstin Descher, Stephen Owen und Guido Jentjens in "Tristan und Isolde" am Theater Augsburg. © A.T. Schaefer
Text:Wolf-Dieter Peter, am 6. April 2011
Selbst rauschhafte Gipfelerlebnisse haben ihre kleinen Täler. So sollte der anerkannte Theaterfotograph A.T.Schaefer beim Genre Foto bleiben: seine Hintergrundvideos wirkten beliebig, austauschbar und waren somit völlig verzichtbar. Folglich hätte Regisseurin Rosamund Gilmore diese Kraft und Zeit zusammen mit Gerhard Funk in eine deutlich differenziertere Lichtregie investieren können. Damit wären dann wohl in Carl Oberles Einheitsbühnenbild die für die Inszenierung unergiebigen, bühnenhohen Türme auf beiden Bühnenseiten verzichtbar geworden, wodurch alle Seitenplätze bessere Sicht hätten. Speziell im 3.Aufzug wäre dann wohl auch die Holzstock-Dekoration weggefallen, die zu hanebüchenen „Kampfhandlungen“ genutzt wurde. Denn schon Mitte des 1.Aufzugs stellte sich der Eindruck ein: dieses immer noch ungeheuere Musikdrama braucht eigentlich ganz wenig Bühnenaufwand, wenn „es“ in der Musik und mit den beiden Hauptfiguren „stimmt“. Und das tat es in Augsburg.
Regisseurin Gilmore hat die Handlung in Monika Staykovas abstrakt historisierenden Kostümen richtigerweise auf eine sich nach hinten perspektivisch verengende Bühnenschräge konzentriert. Relings signalisierten „Schiffsdeck“ im 1.Aufzug. Für die überwältigende nächtliche Liebesmusik des 2.Aufzugs hob sich die Schräge aus der Realität empor – leider hier und auch für den alle übrigen Figuren überflüssig machenden „Liebestod“ des 3.Aufzugs von der Lichtregie im Stich gelassen. Ganz schnell stellte sich der Wunsch ein: Alles weglassen, nur die beiden unentrinnbar und dennoch leidenschaftlich Verstrickten aus dem Dunkel herausleuchten und durch intensive Personenregie zwischen ihnen diese überlebensgroßen, ja aberwitzigen Spannungen aufbauen. Denn die choreografisch ja so erfahrene, zur Inszenierung von „Körpersprache“ so begabte Rosamund Gilmore bewies schon ab Isoldes Fluch im 1.Aufzug, dass sie genau das kann. Leider wurde diese im Parkett spürbare Innen- und Binnenspannung zwischen den Liebenden dann inszenatorisch stetig schwächer.
Dennoch gelang der Gipfelsturm. Denn das gute Ensemble um Kerstin Deschers Brangäne und Guido Jentjens König Marke wurde überragt von einem hoch expressiven Titelpaar. Christine Libor gab der Isolde Verzweiflung in klangschön tragendem Piano, raumfüllenden Rachefuror und glutvolle Liebesunbedingtheit. Gerhard Siegels Tristan glaubte man die im bulligen Körper erst unterdrückten, dann vorsichtig geäußerten Emotionen und für die am Ende dreifach gesteigerten Wahnausbrüche bis hin zum Tod besaß sein heller Tenor bewundernswerte Kraft… und zu all dem: einfach „Wahnsinnsmusik“. Man sollte sich erinnern: noch 1863 erklärten die Wiener Philharmoniker nach über 70 Proben das Werk für „unspielbar“. GMD Dirk Kaftan und dem Philharmonischen Orchester Augsburg gelang von der klagenden Englischhorn-Melodie über die berühmten chromatischen „Tristan“-Steigerungen, die tosenden Gefühlsstürme des 2. und ohne Schwächen hin zu den weltentsagenden Gipfeln des 3.Aufzugs einfach musikalische Überwältigung. Da waren Sog und Wüten, Intimes und Feinsinn – ein Klangfluten, das die Figuren ins Exemplarische hob, das einem Abend durch ein singuläres Kunstwerk eine aller Realität enthobene Größe gab. Viele suchten hinterher nach „Erleichterung“ – etwa durch Witzeleien wie „Man darf den Kaftan nicht zu sehr loben, sonst ist er morgen weg!“ Deshalb also: Sofort nach Augsburg ins Theater!