DVD: Les Contes d’Hoffmann
Foto: Cover EuroArts 2068598 © EuroArts Text:Andreas Falentin, am 16. März 2022
Ist die Halbwertzeit von CD und DVD bereits abgelaufen? Selbst Menschen, die gerne Musik hören, haben mittlerweile oft gar keinen Schacht mehr in ihrer medialen Ausstattung, in die sie die Scheiben einführen könnten. Direkt digital zu konsumieren scheint einfacher und im Stream ist vieles ohnehin jederzeit verfügbar.
Dennoch wird hier eine Opern-DVD empfohlen. Dabei ist dem Schweizer Regisseur und Choreografen Daniele Finzi Pasca nicht einmal eine bahnbrechend neue Lesart von Jacques Offenbachs letzter Oper gelungen. Dennoch sind diese „Contes d’Hoffmann“, die im Herbst 2021 an der Hamburgischen Staatsoper Premiere hatten, eine kleine Quadratur des Kreises: Finzi Pasca und der Dirigent Kent Nagano öffnen dem Unbedarften den Offenbach’schen Kosmos und lassen gleichzeitig den Fortgeschrittenen einiges neu sehen oder hören.
Dabei ist das Ganze auch schlicht und ergreifend – ein Spektakel. Aber ein Kluges. Das dramaturgische Hauptproblem, dass der Protagonist, der Dichter Hoffmann, zwar die Randakte dominiert, aber dazwischen oft zum Stichwortgeber herabsinkt, lösen Finzi Pasca und seine Ausstatter Hugo Gargiulo (Bühne) und Giovanna Buzzi (Kostüme) auf einfache Weise. Der Dichter und seine Muse sitzen über weite Strecken am Gastro-Tisch und trinken – und sind doch immer mitten im Geschehen. Hoffmann erinnert sich halt. Und seine drei angebeteten Frauen erscheinen – bildlich! – als in der Erinnerung gefangen: Olympia in einer riesigen Spieluhr, Antonia als Teil einer bühnenhohen Schmetterlingssammlung, Giulietta in einem barock ausstaffierten Museumssetting. Dazu wird ständig mit Kernmotiven der Romantik jongliert, wie etwa dem Doppelgänger. Alles, was – ästhetisch – neueren Datums ist, wird in der Inszenierung lustvoll als zum Klischee geronnen dargestellt. Beispiele: Der wie aus einer Gothic Novel oder einem expressionistischen Stummfilm entsprungene Bösewicht, der mal an Dracula, mal an RiffRaff aus der „Rocky Horror Show“ erinnert; oder Antonias Schmetterlingskostüm, das schwer an Barbie-Filme erinnert.
Wir sehen also einen Abgesang auf die Romantik. Das Beglückende: Wir hören ihn auch. Kent Nagano dehnt oft die Tempi stark, kommt dabei aber nie aus dem Fluss, macht im Gegenteil die Modernität dieser Musik hörbar, ihren liebevollen und reflektierten Umgang mit der eigenen Epoche, auch ihren melancholischen Witz. Und es gibt die Sänger dafür. Benjamin Bernheim hat die Partie drauf, gestaltet sie klug, lässt hier das raschelnde Papier einer Kopfgeburt durchscheinen, dort echtes Leid. Und artikuliert sensationell. Angela Brower als Muse bringt vor allem Präsenz ein, Urkraft, auch stimmlich. Und Eleganz. Olga Peretyatko stellt sich den drei großen Frauenrollen und bewältigt sie alle drei mit stimmlicher Differenzierung. Es wirkt sehr richtig, gerade im Film, dass Hoffmann letztlich doch immer dieselbe Herzensdame anbetet. Dazu kommt der souveräne Luca Pisaroni in den Bösewichtsrollen, stimmlich etwas glatt, und der bemerkenswert bewegliche – und für seine Rollen bemerkenswert gutaussehende – Andrew Dickinson als den Namen wechselndes Dienstpersonal.
Jacques Offenbach dachte also, es wäre so um 1880 vorbei mit der musikalischen Romantik, die ja zumindest in Deutschland noch mindestens 50 Jahre weiterging und bis heute die Konzertprogramme dominiert. Eine Auseinandersetzung damit kann nicht schaden, zumal, wenn sie optisch so attraktiv daherkommt wie diese Hamburger Produktion. Auch, weil Bildregisseur Henning Kasten alles tut, um die raumgreifenden Settings abzubilden und doch im Erzählfluss zu bleiben.
Auf großem Bildschirm und mit guter Soundanlage können diese „Erzählungen“ eines romantischen Dichters (und von einem romantischen Dichter) mit Sicherheit viel Freude bereiten.
Eine Kostprobe ansehen kann man HIER.
Jacques Offenbach: Les Contes d‘Hoffmann, Hamburgische Staatsoper 2021, 2 DVDs, EuroArts 2068598, auch als Blu-Ray verfügbar