CD: Camille Saint-Saëns: „Phryné“
Foto: Cover „Phryné“ Palazetto Bru Zane 1047 © Palazetto Bru Zane Text:Andreas Falentin, am 15. Februar 2022
Wir haben Neuigkeiten: Ab heute gibt es auf der Homepage der DEUTSCHEN BÜHNE einmal in der Woche einen Medientipp. Das kann ein Buch oder eine Musikveröffentlichung sein, eine Kino- oder Ausstellungsempfehlung oder eine spannende Website. Kleinster gemeinsamer Nenner: das Theater.
Am Anfang steht, nicht zufällig, eine CD-Veröffentlichung des Labels des Palazzetto Bru Zane. Bei „Phryné“ von Camille Saint-Saëns bestechen die editorische Sorgfalt und das künstlerische Niveau genauso wie bei vielen der 31 Operngesamtaufnahmen, die das Label seit 2012 produziert hat – übrigens sämtlichen von Opern der französischen Romantik, die zwischen 1780 und 1920 entstanden sind.
Die Aufnahme der eigentlich vollkommen vergessenen „Phryné“ bietet selbst vor diesem Hintergrund Außergewöhnliches: 70 Minuten spritziges, ungetrübtes und elegantes Hörvergnügen voller Feinheiten und Nuancen. Das Stück erscheint als lebender Organismus, jede Nummer, jede Szene scheint sich ganz natürlich aus der vorherigen zu ergeben.
Dieser Eindruck stellt sich bereits beim ersten Hören ein. Hervé Niquet findet mit dem Orchestre de l’Oper de Rouen Normandie lebendige Tempi und eine frische, eigenwillige dynamische Struktur. Florie Valiquette ist eine schönstimmige, mal verführerische, mal sentimentale, mal maliziöse Interpretin der Titelrolle, Thomas Dolié gibt den alten Geizhals plastisch, aber nicht ohne Würde mit fest gefügtem Bariton und Cyrille Dubois ist schlichtweg ein Meister der Stimmtönung und Phrasierung. Das Tenor-Arioso „Quelle destinée est la mienne“ (Track 6) muss man wirklich gehört haben: Schmelzende Lyrik und lächelnde Ironie verbinden sich zu Einzigartigem. Bei allen Solistinnen und Solisten beeindruckt der klanglich wie semantisch differenzierte Umgang mit der französischen Sprache.
Die Geschichte, die so erzählt wird, ist absolut nicht aufregend, wenn auch wirkungsvoll; eine Dreiecksgeschichte, die aus der Commedia dell’Arte stammen könnte oder aus einem Stück von Goldoni. Schöne Frau liebt jungen, charmanten Schuldenmacher und nicht dessen reichen Onkel, der dann durch seine Eitelkeit und Bigotterie so angreifbar wird, dass er der Hochzeit zustimmen und die Schulden des Neffen bezahlen muss. Originell ist der Chor eingesetzt, mal als Phrynes Fanclub, mal als Öffentlichkeit. Lustig sind die Zeitebenen, die sich beim Hören offenbaren. Die eleganten Rhythmen wiegen einen in der Pracht der Belle Epoque, die Melodien träumen von dem Belcanto der 1820er-Jahre und das Ganze spielt – in der Antike.
Die im vierten vorchristlichen Jahrhundert geborene Hetäre Phryne war damals in Frankreich in aller Munde durch das 1861 erstmals ausgestellte, damals sehr bekannte Gemälde „Phryne vor dem Areopag“ von Jean-Léon Gérôme. Auch aufgrund dieser Bekanntheit wurde die Oper bei ihrer Uraufführung 1893 ein Riesenerfolg, der 20 Jahre anhielt und sogar eine Produktion in Kairo zur Folge hatte. Dann folgte das Vergessen, auch weil es für die Gattung Opera-comique, das Abwechseln von Dialogen, Arien und Ensembles, wohl kein Publikum gab. Um dem vorzubeugen, hatte André Messager die Dialoge schon 1896 in Orchesterrezitative umgewandelt. In dieser Form wurde die Oper jetzt eingespielt. Und es ist vorstellbar, dass „Phryné“ mit dem richtigen Ensemble und einer Regisseurin oder einem Regisseur, der es krachen lassen und dabei elegant sein kann, heute wieder auf der Bühne heimisch werden kann – wenn man das Stück als das betrachtet, was es ist: ein exquisiter, schlanker Genuss, ein besonderes hors d’oevre, ein einzigartig kreiertes Praliné.
Einen kurzen Vorgeschmack gibt es HIER
Camille Saint-Saëns: „Phryne“, Palazzetto Bru Zane, BZ 1047, veröffentlicht am 11. Februar 2022