Von Detlev Baur am 10.12.2019
• Foto: Robert Schäfer
Das Bild zeigt: Willkommen in Osnabrück. Ulrich Mokrusch (Dritter von links) wird von Oberbürgermeister, Aufsichtsratsvorsitzender des Theaters und Erstem Stadtrat vor dem Rathaus begrüßt
Ulrich Mokrusch, seit 2010 Intendant des Stadttheater Bremerhaven, wird zur Spielzeit 2021/22 Intendant des Theaters Osnabrück. Er tritt dort die Nachfolge von Ralf Waldschmidt an. Eine 18-köpfige Jury entschied sich unter 38 Bewerbungen für den Regisseur und Schauspieler.
Die Äußerungen der Stadtspitze anlässlich der Wahl zeigen die Erwartung, dass der künftige Intendant das Haus in die Stadt hinein öffnet und vernetzt. Und tatsächlich deckt sich diese Erwartung mit dem, wofür Mokruschs Arbeit in Bremerhaven überregional Aufmerksamkeit erregte und den Theaterpreis des Bundes erhielt: für lokale Kooperationen und europäische Zusammenarbeit. Im Jahr 2023 steht die 375-Jahrfeier des Westfälischen Friedens an. Das Theater der Stadt soll dabei seine Rolle spielen.
Die Berufung scheint eine vernünftige und kluge Wahl zu sein. Mokrusch ist ein erfahrener und offener Theatermann. Ein politisches Zeichen für einen Neuaufbruch des Theaters in Osnabrück ist sie biographisch und geschlechtlich gesehen nicht unbedingt.
Nachruf: Zum Tod von Heiner Bruns
Von Detlef Brandenburg am 05.12.2019
• Foto: Theater Bielefeld
Das Bild zeigt: Verstarb gestern im Alter von 84 Jahren: Heiner Bruns, der Vater des „Bielefelder Opernwunders“
Ich sage das jetzt mal sehr persönlich: Der Tod des ehemaligen Bielefelder Intendanten Heiner Bruns geht mir nahe. Ich kenne ihn seit über 30 Jahren – und damit viel länger, als er mich gekannt hat. 1975, im selben Jahr, in dem Heiner Bruns seine heute geradezu legendäre Intendanz am Theater Bielefeld antrat, begann ich mein Studium der Musikwissenschaft in Kiel. Und es waren zwei Kommilitonen, die immer wieder von sagenhaften Opernaufführungen im fernen (die Welt war kleiner damals) Bielefeld raunten. So fern, dass man es nicht mit dem VW Käfer erreichen und dann nachts noch wieder zurück nach Kiel fahren konnte, war Bielefeld aber dann doch wieder nicht. Und so ergab sich während meiner Studienjahre ein lockerer Pendelverkehr zwischen Kiel, der Stadt ohne Gesicht, und Bielefeld, der Stadt, die es eigentlich gar nicht gibt. Und ich wurde Zeuge von etwas, von dem ich damals noch nicht wusste, was es später werden sollte: vom Bielefelder Opernwunder.
Heiner Bruns leistete Wiedergutmachung an dem verheerenden Kulturbruch, den die Nazi-Barbarei auch im Opernbereich angerichtet hatte. Er spielte die vertriebenen oder ermordeten jüdischen, die totgeschwiegenen unangepassten und die verbotenen avantgardistischen Komponisten: Opern aus der Zeit der Weimarer Republik, unter anderem von George Antheil, Frederic Delius, Paul Hindemith, Arthur Honegger, Erich Wolfgang Korngold, Ernst Krenek, Buhoslav Martinů, Franz Schreker, Kurt Weill oder Egon Wellesz. Er brachte Werke der Gattung Grand opéra von Berlioz, Boito, Halévy oder Meyerbeer, die damals zwar in unseren Seminaren, aber kaum einmal auf den Bühnen vorkamen. Und er ermöglichte eine Menge oder Ur- und Erstaufführungen neuer Opern von John Adams, Leonard Bernstein, von dem aus jüdischer Tradition komponierenden Moshe Cotel, der US-Amerikanerin Thea Musgrave, dem Deutsch-Australier George Dreyfus, dem russischen Underground-Avantgardisten Nikolai Karetnikow, dem Jazz-Klassik-Fusion-Musiker Theo Loevendie, von Tilo Medek, Heitor Villa-Lobos, Udo Zimmermann, und, und, und…
Mit anderen Worten: Bruns machte in Bielefeld genau das, von dem seine Kollegen an anderen Häusern immer behaupteten, damit würde man das Publikum vergraulen. Wir Studenten aus Kiel staunten Bauklötze. Und das Bielefelder Publikum war begeistert. Oder es ärgerte sich. Protestierte. Schimpfte. Aber es wollte dabei sein, sei es nun bei der neusten Opern-Entdeckung oder dem neusten Opernskandal. Bruns bestand darauf, dass Musiktheater etwas mit der Gegenwart zu tun haben müsse, und das gern auch auf ungemütliche, kritische Weise. Prägend für seine Bielefelder Dramaturgie war unter anderem seine Zeitopern-Reihe mit Werken, die unmittelbar Themen der Zeit aufgriffen oder sich zumindest auf solche beziehen ließen: „Maschinist Hopkins“ von Max Brand, „Neues vom Tage“ von Paul Hindemith, „Der Sprung über den Schatten“ von Ernst Krenek, „Der Schmied von Gent“ von Franz Schreker.
Natürlich war das Bielefelder Opernwunder Teamwork. Schließlich war Heiner Bruns ein überzeugter Vertreter des Ensembletheaters. Die Edeloper mit gut bezahlten, aber schlecht geprobten reisenden Stars war ihm ein Gräuel. Für die Dramaturgie des Hauses war neben ihm selbst der Chefdramaturg Alexander Gruber zuständig, und für die Regiehandschrift der junge Oberspielleiter John Dew mit seinem kongenialen Bühnenbildner Gottfried Pilz. Dew war ein Provokateur von hohen Graden und ebenso hoher Intelligenz. Er konnte den Nerv eines Stückes genau da treffen, wo die Inszenierungstradition den tieferen Sinn verharmloste, weil es sonst unbequem, ja schmerzhaft wurde. Bei Dew wurde es schmerzhaft, allerdings oft auf quietschkomische Weise. Als ich in Kiel bereits junger Journalist war und das dortige Opernhaus 1986 die deutsche Erstaufführung von Aulis Sallinens Oper „Der König zieht nach Frankreich“ ankündigte, mit einem gewissen John Dew als Gastregisseur, da ahnte ich, was zu erwarten stand. Dew machte aus der etwas betulichen Läuterungsgeschichte eine schrille Travestie auf das britische Königshaus und besetzte den König mit einem Bass, der in perfekter Maske Maggie Thatcher brillant parodierte – der Skandal war gewaltig: Buh-Orkane, wütende Artikel in finnischen Zeitungen, es gab sogar eine informelle Note des finnischen Konsuls.
Heiner Bruns wurde 1935 in Düsseldorf geboren, wo er die Gustaf-Gründgens-Zeit am Schauspielhaus miterlebte. Seine eigene Theaterlaufbahn begann er 1957 bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen als Regieassistent von Karl-Heinz Stroux und Gustav Rudolf Sellner. Sellner holte ihn dann als Dramaturgen ans Staatstheater Darmstadt, 1960 ging er als Chefdramaturg zu Arno Wüstenhöfer an die Bühnen der Hansestadt Lübeck. 1971 wurde er Intendant des Stadttheaters Pforzheim und 1975 Intendant der Bühnen der Stadt Bielefeld. 1986 wurde er übrigens zum Generalintendanten der Essener Theater gewählt – nahm die Wahl aber nicht an und blieb bis zu seiner Pensionierung 1998 in Bielefeld, wo er sich in seinen späten Intendanten-Jahren mit Sparmaßnahmen herumschlagen musste, die unter anderem zur Schließung des Kinder- und Jugendtheaters führten.
Heiner Bruns hat in Bielefeld natürlich auch sehr spannendes, konzeptgetragenes und gegenwartsrelevantes Schauspiel gemacht. Aber das gab es anderswo in vergleichbarer Weise auch. Das Genre „Oper am Stadttheater“ aber hat er auf radikal innovative und zeitgenössische Weise neu definiert. Insofern ist er ein Vorfahre von Intendanten wie Florian Lutz oder Benedikt von Peter. Und auch uns, die jungen Besucher aus Kiel, hat er damals geprägt. Dass ich ihn zehn Jahre später beim Deutschen Bühnenverein als Mitglied etlicher Gremien kennenlernen durfte, das war mir, ich kann es nicht anders sagen: eine große Ehre. Bruns trat beim Bühnenverein stets sehr bescheiden auf, so dass sich mit zunehmendem zeitlichen Abstand manch jüngerer Theatermann oder Kulturpolitiker dessen vielleicht gar nicht mehr bewusst war, welcher Verdienste sich dieser zurückhaltende ältere Herr hätte rühmen können, wenn er das denn gewollt hätte. Aber an eines werden sich alle Teilnehmer einer Gruppensitzung oder Hauptversammlung mit Sicherheit erinnern: Wenn nach dem Bericht des Vorsitzenden oder Vorstands die Aussprache darüber beendet war, dann gab es meist eine etwas verlegene kleine Pause. Und in dieser Pause erhob sich Heiner Bruns, wandte sich ins Plenum und sprach: „Ich bitte um Entlastung des Vorstands!“
Den Job muss nun leider ein anderer übernehmen. Heiner Bruns ist gestern nach schwerer Krankheit im Alter von 84 Jahren verstorben.
Zwischenruf: Landunter in Düsseldorfs Opernhaus
Von Detlef Brandenburg am 26.11.2019
• Foto: Deutsche Oper am Rhein
Das Bild zeigt: Nach dem Wasserschaden am Düsseldorfer Operhaus: Bautrockner im Ensatz!
In den letzten zehn Jahren sind garantiert mehr Theater durch Fehlauslösungen der Sprinkleranlagen abgesoffen als durch Feuersbrünste vorhehrt worden. Dafür lege ich – um im Bilde zu bleiben – meine Hand ins Feuer! Zugleich verursachen Brandschutzauflagen samt der entsprechenden Einrichtungen und Bauvorschriften bei Neubau- und Sanierungsprojekten immer gravierende Kostensteigerungen. Überspitzt gesagt: Der Brandschutz nagt schwer an den Gebäuden. Und das ist schon eine ziemlich bizarre Situation, über deren Sinnhaltigkeit nachzudenken man den zuständigen Stellen in Deutschland und Europa vielleicht doch mal ans Herz legen sollte.
Gestern Abend nun hat es das Düsseldorfer Haus der Deutschen Oper am Rhein erwischt. Aufgrund einer Fehlauslösung der Sprinkleranlage wurden Teile der Bühne und des Orchestergrabens durch austretendes Löschwasser beschädigt. Bühnentechniker schalteten die Sprinkler zwar innerhalb weniger Minuten manuell wieder aus, sodass der Wasserschaden auch mithilfe der städtischen Feuerwehr, deren Einsatzkräfte umgehend vor Ort waren, beschränkt werden konnte. Doch das exakte Ausmaß wird noch ermittelt. Und die nächsten beiden Vorstellungen im Opernhaus Düsseldorf – „Samson et Dalila“ am Mittwoch, 27. November, und „Hänsel und Gretel“ am Donnerstag, 28. November – fallen schon mal aus. Ob der Vorstellungs- und Probenbetrieb im Opernhaus Düsseldorf ab Freitag wieder aufgenommen werden kann, wird derzeit geprüft.
Seit Mitternacht laufen nun im Bühnenbereich und Orchestergraben Bautrockner zur Entfeuchtung. Mitarbeiter von Spezialfirmen arbeiten derzeit mit Hochdruck gemeinsam mit dem technischen Personal der Deutschen Oper am Rhein, den Eisernen Vorhang, die Brandmeldeanlage und elektrischen Anlagen wieder in Betrieb zu nehmen. Zudem werden die komplexen bühnentechnischen Anlagen auf etwaige Schädigungen durch eingetretenes Löschwasser überprüft. Auch ist noch unklar, inwieweit das Wasser Instrumente im Orchestergraben in Mitleidenschaft gezogen hat. Die Deutsche Oper am Rhein informiert auf ihrer Webseite operamrhein.de über die aktuellen Auswirkungen des Wasserschadens auf den Spielplan. Bereits erworbene Tickets für die Vorstellungen am 27. und 28. November werden erstattet bzw. können für spätere Vorstellungstermine eingetauscht werden.
Zwischenruf: Florian Lutz wird Intendant in Kassel
Von Detlef Brandenburg am 18.11.2019
• Foto: Falk Wenzel
Das Bild zeigt: Kassels desginierter Intendant Florian Lutz
Die gute Nachricht das Tages kommt aus Kassel: Florian Lutz wird als Nachfolger von Thomas Bockelmann Intendant des dortigen Staatstheaters. Lutz war 2016 Intendant der Oper Halle geworden und hatte diese seitdem auf einen fundamentalen Erneuerungskurs gesteuert, der überregional große Beachtung fand und zugleich in Halle auf große Resonanz traf. Dass ihm am Ende die Verlängerung seines Vertrags auf weitere fünf Jahre verweigert wurde, hat auch nach ausdrücklicher Auskunft des Halleschen Oberbürgermeisters Bernd Wiegand nichts mit einem etwaigen Scheitern seines künstlerischem Konzepts zu tun, sondern vielmehr mit politischen Konstellationen im Aufsichtsrat der Theater und Orchester Halle GmbH und mit einem gestörten Verhältnis des dortigen Geschäftsführers Stefan Rosinski zu den Sparten Schauspiel und Oper.
Insofern ist es auch für die Stadt Kassel ein Coup, dass sie einen Theaterchef gewinnen konnte, der zumindest in der Oper als einer der kreativsten und innovativsten Künstler der Szene gelten kann. Dass er nun seine Arbeit unter hoffentlich günstigeren Bedingungen als in Halle fortsetzen kann, ist zudem ein Segen für die deutsche Theaterlandschaft, die Künstler wie ihn braucht, um auch in Zukunft auf der Höhe der Zeit und der Erwartungen der Zuschauer zu bleiben. Auf Florian Lutz und sein Team wartet nun allerdings eine weitere große Herausforderung. Er steht erneut vor der Aufgabe, das Publikum einer Stadt für sein innovatives Konzept von Theater zu gewinnen. Und er muss sich nun als Intendant eines Mehrspartenhauses bewähren. Mit welchem Team er das tun will, wird man möglicherweise bei seiner offiziellen Vorstellungs-Pressekonferenz am 22. November in Kassel erfahren.
DIE DEUTSCHE BÜHNE hat sich in dem Themenheft „Musik-(Stadt-)Theater“ ausführlich mit dem Opernkonzept von Florian Lutz und seinem Team in Halle auseinandergesetzt. Es wird am 28. November auf einer Pressekonferenz in Halle vorgestellt und kann ab dann in der Redaktion kostenlos bestellt werden. Eine Kostprobe daraus finden Sie hier.
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Die Rahmenveranstaltungen der Theater haben in einem Jahr um fast zehn Prozent zugenommen! Es besteht Redebedarf mit der Stadtgesellschaft, etwa im Rahmen von Publikumsdiskussionen. Ein Bespiel vom Schauspiel Leipzig zeigt, wie es gelingt.