Carol. Shakespeare in Jena, Sommertheater zur Eröffnung der Kulturarena Jena

Spielfreude zum Abschied

Ensemble Theaterhaus Jena, Lizzy Timmers: Carol. Shakespeare in Jena

Theater:Theaterhaus Jena, Premiere:03.07.2024 (UA)Regie:Lizzy Timmers

Zum Abschied vom Theaterhaus hat das Jenaer Ensemble sich mit „Carol. Shakespeare in Jena“ Caroline Schlegel-Schelling, der Shakespeare-Übersetzerin und Salondame, gewidmet. Gemeinsam mit der Regie von Lizzy Timmers geben sie nicht nur der  Früh-Romantikerin eine Bühne, sondern rappen, tanzen und singen auch über die Geschichte der Stadt.

Und der Himmel weint. Die Songzeile „Is this how it ends?“ weht zart über die Bühne, als es zu regnen beginnt. Als ob auch die Natur dem scheidenden Ensemble nachtrauere. Ein passendes Ereignis, immerhin feiert diese Abschiedspremiere die Frühromantiker. Da kommt etwas Wetterpathos im Schlussbild gerade recht.

Bühne als Gelehrtenkreis

Um 1800 ist Jena intellektueller Hotspot in den deutschsprachigen Landen. Die hiesige Universität ist die fortschrittlichste überhaupt. Selbst aus der Klassikerstadt Weimar zieht es die Dichter und Denker an die Saale. Hier wird gerade begonnen, die Klassik zu überwinden. Eine Handvoll Frühromantiker gruppiert sich um Caroline Schlegel (spätere Schelling). Gemeinsam mit ihrem Mann August-Wilhelm übersetzt sie Shakespeare, in der Form, wie man seine Stücke bis heute in den gelben Reclam-Heften liest. In ihrem Salon verkehren im Gelehrtenkreis Goethe, Fichte, Novalis und Tieck.

Carol. Shakespearea in Jena Regie von Lizzy Timmers

Das Ensemble erzählt unter anderem „Romeo und Julia“ im Schnelldurchlauf. Foto: Joachim Dette

Einen Gelehrtenkreis öffnet auch der Jenaer Openair-Abend auf runder Bühne. (Bühne: Maarten van Otterdijk) Die ist offen, wie in einer Arena sitzt das Publikum auf einer im Halbrund darum gebauten Tribüne. Man schaut in den Salon der Caroline Schlegel, wo die jungen Romantiker in farbenfroher Klamotte allerlei Fantasievolles anstellen. Zunächst werden die historischen Gelehrtenfiguren am historischen Ort eingeführt. Das originale Schiller-Haus befindet sich gleich neben an. Auch wenn sich dieser mit den Romantikern überwarf, wird darauf mehrfach verwiesen. Das Heim der Schlegels ist heute schließlich Parkplatz, da muss der Glocken-und-Locken-Dichter für ein bisschen Patina herhalten.

Romantik, Rap und Rock

Es mischen sich kurze Vorträge zu Biografischem und Verwandschaftskonstellationen und Affärengeflechten. Manchmal fallen die Schauspielenden aus ihren Rollen, um die Motivationen ihrer Figuren zu erklären. Dann wird gerapt und getanzt. „Wenn es regnet wie aus Eimern, / das ist Jena und nicht Weimar.“ Und: „Wir waren im Gefängnis, was für eine Malaise / das alles nur wegen der ‚Marseillaise‘.“ Das geht bunt und frisch zu. Ein roter Faden findet sich nicht. Die Weichen sind auf Spektakel gestellt, wenn sich das Bühnengeschehen assoziativ an den historischen Personen und ihren Werke entlang hangelt. Selbstverständlich wird mehrfach erwähnt, wie schwer es für Schlegel und andere Frauen war, sich im damaligen Patriarchat zu entfalten. Und dann ist schon wieder eine Gesangseinlage dran, dieses Mal zu punkiger Rockmusik. 

Der Charakter eines Potpourris ergibt sich schon aus dem Ansatz, den Abend gemeinsam zu gestalten. Regisseurin Lizzy Timmers und die sieben Darstellenden erschufen ihn in kollektiver Arbeit. Das ist konsequent, hat das Theaterhaus Jena in der vergangenen Jahren insbesondere auf die Mitsprache des Ensemblerats gesetzt. Und dieses Ensemble verabschiedet sich nun. Viele Ideen sind wohl aus Improvisationen entstanden. Der Philosoph Schelling spricht mit niederländischem Akzent, Goethe setzt einen Aufblaslurch unter Strom, dann folgen wieder Gesang und Tanz. Eine Liveband (Moritz Bossmann und Band) liefert den Rhythmus, zu dem jeder einfach mitmuss. Das hält zusammen, weil die Spielfreude des Ensembles (Pina Bergemann, Nikita Buldyrski, Henrike Commichau, Linde Dercon, Mona Vojacek Koper, Leon Pfannenmüller, Anna K. Seidel) aus jeder, nun ja: Szene spricht.

Ebenenspiel

Wirklich gespielt wird anfangs nicht viel, eher gesprochen. Ein schöner Einfall und ganz Shakespeare ist ein Play im Play: „Romeo und Julia“ wird im Schnelldurchlauf gegeben. Da können dann auch mal die Figuren aus ihren dortigen Rollen fallen und die Darstellenden aus den ihren. Das ist ein hübsches Spiel mit den Ebenen. Auch die heute teilweise antiquiert wirkende Übersetzung bekommt ihr Fett weg, wenn die Sentenzen mal zerdehnt oder überbetont werden.

Auf Tiefe ist das nicht angelegt, das wissen die Spielenden selbst am besten. „Ich suche das Unbedingte und finde nur Dinge“, meint Schelling und wird mit „Deep!“ kommentiert. Noch einmal soll geballte Ensemblepower auf der Bühne zu erleben sein, bevor sich die sichtlich emotionalen Spielerinnen und Spieler beim Publikum bedanken. Und durch dessen Standing Ovations nur buchstäblich im Regen stehen gelassen werden.tobias