Foto: Thomas Prazak, Patrick Rupar und Katja Sieder in "Die gefährlichste Frau Amerikas" am Staatstheater Augsburg © Jan-Pieter Fuhr
Text:Tobias Hell, am 18. Februar 2024
Das Staatstheater Augsburg rückt die Anarchistin Emma Goldman im Stück „Die gefährlichste Frau Amerikas“ ins Scheinwerferlicht. Die Inszenierung gerät weder gestrig noch überfrachtet, braucht aber lange, um den Menschen hinter der Aktivistin zu entdecken.
Proteste für mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen, Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit – all das scheint direkt aus den aktuellen Schlagzeilen gegriffen. Tatsächlich aber entführt uns Autorin Tine Rahel Völcker mit ihrem neuen Stück am Staatstheater Augsburg zurück an den Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Anarchistin Emma Goldman vielen als „Die gefährlichste Frau Amerikas“ (so der Titel des Stücks) galt. Ein historischer Crashkurs über eine feministische Ikone, die es in Musicals wie „Assassins“ oder „Ragtime“ zwar bereits zu Bühnenehren gebracht hat, nun jedoch von der Nebenfigur zur Protagonistin aufsteigen darf. Wobei Völcker die bewegte Lebensgeschichte immer wieder mit aktuellen Bezügen würzt und das Publikum teilweise bewusst rätseln lässt, auf welcher Zeitebene man sich aktuell befindet.
Überaus geschickt umgesetzt wird dies von einem sechsköpfigen Ensemble, das auf der brechtbühne in Augsburg im Laufe des Abends in unterschiedlichste Rollen schlüpfen darf: angefangen von den Männern in Emmas Leben bis hin zu sprechenden Gegenständen, Körperteilen oder personifizierten Institutionen wie Presse und Justiz, die sich in surreal anmutenden Intermezzi zu Wort melden. Akrobatisch turnen sie auf einem multifunktionalen Klettergerüst, das Ausstatterin Miriam Busch mit Stahlsaiten, Gongs und anderen perkussiv nutzbaren Elementen versehen hat, mit denen das Ensemble selbst für eine atmosphärische akustische Untermalung sorgt.
Mirjana Milosavljević, Katja Sieder und Mirjam Birkl (von links) teilen sich in Augsburg die Rolle der Emma Goldman. Foto: Jan-Pieter Fuhr
Mehr als eine Geschichtsstunde in Augsburg
Dass der Abend in Augsburg weder zur trockenen Geschichtsstunde noch zur ideologisch überfrachteten Nummernrevue wird, ist nicht zuletzt Regisseurin Nicole Schneiderbauer zu danken, die eine gesunde Balance zwischen den biografisch erzählenden Episoden und den assoziativ kommentierenden Szenen findet. Gerade dann, wenn letztere die Grenzen zum absurden Theater ausreizen. Wenn sich Emmas Hände oder Eizellen zu Wort melden, Gummigeschosse über ihr „Aufeinandertreffen“ mit protestierenden Gelbwesten diskutieren. Oder wenn ein paar Dosentomaten von einem Abstecher ins Museum berichten, zu dem sie von der Letzten Generation zwangsrekrutiert wurden.
Die Titelheldin selbst teilen sich gleich drei Darstellerinnen. Wobei das darin liegende Potenzial, unterschiedliche Facetten von Goldmans Charakter zu beleuchten, erst relativ spät im Stück genutzt wird und das Trio zunächst eher in geschlossener Formation kämpft. Trotzdem, oder genau deswegen machen die flammenden Agitationsreden Eindruck, die Mirjam Birkl, Mirjana Milosavljević und Katja Sieder frontal ins Publikum schleudern. Wütende Wortkaskaden, bei denen sie sich gegenseitig anstacheln und abwechselnd ihre Sätze vollenden.
Erst spät blickt die Inszenierung in Augsburg hinter die Fassade der berühmten Anarchistin. Foto: Jan-Pieter Fuhr
Theater macht Verletzlichkeit am Ende spürbar
Das zu Beginn geäußerte Versprechen ihres Mentors, die junge Frau zu einer großen Rednerin zu formen, wirkt fast ein wenig absurd. Denn anders als ihr Mitstreiter Sascha (den Thomas Prazak als selbstzweifelnden, gebrochenen Mann zeichnet) scheint die dreifaltige Emma keine Schwächen zu kennen. Sie ist taff, eloquent und vor allem eines: wütend über die unhaltbaren Zustände! Eine Frau, die mit felsenfester Überzeugung für ihre Ideale kämpft und von Völcker zur unantastbaren Ikone stilisiert wird. Goldmans Bereitschaft, für ihre Ziele auch Gewalt als notwendiges Übel zu akzeptieren, wird dabei aber bestenfalls indirekt reflektiert. Ebenso wie ihre Rolle bei der Planung zweier Attentate. Denn den Finger am Abzug hatten am Ende ja jeweils andere.
Wirklich spannend wird der Abend so erst im zweiten Teil, der im schwarz-weiß gezeichneten Weltbild allmählich doch ein paar Grauschattierungen aufspürt. Je mehr die absurd überzeichneten Momente zurückgeschraubt werden, umso mehr ist da endlich auch der Mensch hinter der kämpferischen Fassade zu erahnen. Eine Chance, die vor allem Mirjana Milosavljević nicht ungenutzt lässt, die mit subtiler Mimik auch zwischen den Worten eine berührende Verletzlichkeit spürbar macht. Dies bezeichnenderweise gerade im Dialog mit Katja Sieder, die sich hier aus der gemeinsamen Rolle löst. Wobei sie als Goldmans Lebensabschnittspartnerin Almeda dennoch eine Art innere Stimme bleibt und so für einen der ehrlichsten Momente des Abends sorgt. Ähnlich wie bei Emmas abschließendem Aufruf zum Widerstand gegen den aufkeimenden Faschismus in Europa. Eine eindringliche Mahnung, bei der Historie und Gegenwart ein letztes Mal auf geradezu gespenstische Weise miteinander verschwimmen.